Eine Nation entsteht

Auf Initiative von Julius Vogel, der in mehreren Regierungen Finanzminister und zweimal auch Premier war, wurden ab den 1870er Jahren umfangreiche Anleihen zum Aufbau von Infrastruktur aufgenommen. Mit diesen Mitteln wurden Straßen, Bahn- und Telegraphenlinien sowie öffentliche Gebäude gebaut. Außerdem wurde die weitere Zuwanderung gefördert – unter anderem um Frauen ins Land zu holen, da das Geschlechterverhältnis alles andere als ausgeglichen war. Im Jahr 1881 lebten bereits fast eine halbe Million Pakeha im Land.

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war das Land praktisch in zwei Kulturen getrennt. So gab es im Gesundheitssystem eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, da Maori nur ungern in Krankenhäuser aufgenommen wurden. Auch konnten Maori im Gegensatz zu Pakeha keine staatlichen Mittel zur Entwicklung des noch in ihrem Besitz befindlichen Landes erhalten. Durch den Verlust von Ländereien, der auch durch die Uneinigkeit zwischen Stämmen und daraus resultierende weitere Verkäufe entstand, waren am Ende des 19. Jahrhunderts noch 17 Prozent der Landesfläche in Maori-Besitz, wovon ein Großteil wirtschaftlich nicht nutzbar war. So war die wirtschaftliche und gesundheitliche Lage der Maori ein massives Problem, das – so dachten die meisten – sich durch ein baldiges Aussterben der Maori lösen würde.

Bis es soweit wäre, sollten ab 1868 vorübergehend vier Sitze für Maori im Parlament reserviert werden, damit auch diese Bevölkerungsgruppe eine Vertretung (wenn auch nicht dem Bevölkerungsanteil angemessen) erhielt. Ein Wahlrecht für die ursprüngliche Bevölkerung gab es zu jener Zeit in keiner anderen Kolonie; Australien beispielsweise folgte erst 95 Jahre später. Das politische System Neuseelands orientierte sich lange Zeit am britischen Vorbild. Die Parlamentarier wurden wie in England nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt, die Maori-Vertreter jedoch separat gewählt. Nachdem anfangs nur lose Bündnisse unabhängiger Abgeordneter bestanden, gründete sich Ende des 19. Jahrhunderts die Liberal Party. Unter Führung von John Ballance wurden u. a. Landreformen durch- und ein progressives Steuersystem eingeführt, unter seinem Nachfolger Richard Seddon eine Altersversicherung, eine Reform des Gesundheitswesens sowie das (bis 1919 allerdings nur aktive) Wahlrecht für Frauen. Diese Maßnahmen machten Neuseeland weltweit zu einem Vorreiter in dieser Hinsicht.

Einbrechende Wollpreise stürzten das Land in den 1880er Jahren in eine lang anhaltende Wirtschaftskrise. Ein rettender Anker entstand durch die Möglichkeit, Fleisch per Kühlschiff zu exportieren, so dass Schafe nun nicht nur zur Produktion von Wolle, sondern auch als Fleischlieferant dienten und auch kleinere Farmen profitabel arbeiten konnten. Durch die Maßnahmen der liberalen Regierung profitierten weite Teile der (Pakeha-) Bevölkerung von dem Aufschwung, so dass die Neuseeländer zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit einen der höchsten Lebensstandards besaßen. Als der Reformeifer der Liberalen erlahmte, übernahm 1912 erstmals die konservative Reform Party unter William Massey die Regierungsgeschäfte.

Die Bindung an Großbritannien blieb stets eng, auch wenn sich Neuseeland allmählich verselbständigte: Seit 1907 war es keine Kolonie mehr, sondern Dominion im Commonwealth. Die Verbundenheit mit Großbritannien zeigte sich beispielsweise in zahlreichen Kriegen, in denen Neuseeländer kämpften – im ersten Weltkrieg an der Seite australischer Truppen im »Australian and New Zealand Army Corps« (ANZAC). Der ANZAC Day, bis heute ein Nationalfeiertag, erinnert an eine letztlich erfolglose Aktion im ersten Weltkrieg, bei der zahlreiche Neuseeländer ihr Leben ließen, die aber auch zur Identitätsfindung des jungen Landes beitrug.

Im Jahr 1928 übernahmen wieder die mittlerweile United Party genannten Liberalen die Macht im Land, das in den folgenden Jahren nicht zuletzt durch die aufgrund der Weltwirtschaftskrise schnell fallenden Exporteinnahmen zu leiden hatte. Die Regierung – ab 1931 eine Koalition aus United und Reform, aus der später die National Party werden sollte – erwies sich als unfähig, diese Krise zu meistern; die Arbeitslosenquote stieg auf deutlich über 30 Prozent. Als sich die Weltwirtschaft gerade zu erholen begann, gewann erstmals die Labour Party die Wahlen. Diese Partei hatte sich von ihren früheren sozialistischen Gedanken (wie der Enteignung von privatem Landbesitz) distanziert, setzte sich aber dennoch insbesondere für soziale Absicherung ein. Unter der Führung zunächst von Michael Joseph Savage und dann von Peter Fraser wurde in der Tradition der frühen Liberalen Jahre ein Wohlfahrtsstaat aufgebaut. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten die Einführung eines kostenfreien Gesundheits- und weiterführenden Bildungssystems sowie einer allgemeinen Rente. Insbesondere Maori profitierten stark von diesen Verbesserungen.

Auch im zweiten Weltkrieg stellte Neuseeland seine Truppen an die Seite der Briten; sie waren vor allem im Mittelmeerraum und in Afrika im Einsatz. Mit Beginn der japanischen Angriffe im pazifischen Raum suchte Neuseeland die Unterstützung der USA, nachdem deutlich wurde, dass Großbritannien die Sicherheit Neuseelands angesichts der eigenen Bedrohung nicht gewährleisten konnte. Nachdem bereits 1931 das Statut von Westminster den Dominions die Unabhängigkeit zugestanden hatte, Neuseeland sich aber im Schoß vom Mutter Britannien gut geborgen gefühlt hatte, musste das Land nun seine eigenen Interessen stärker selber in die Hand nehmen. Im Jahr 1947 ratifizierte Neuseeland schließlich das Statut von Westminster und wurde so zu einem selbstständigen Staat, dessen Oberhaupt jedoch nach wie vor der englische Regent ist.